IST DER SACK ZU, DANN ÖFFNET IHN! (Aus dem Magazin: Sperre * )
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Der Gast-Kommentator, Lothar Wypyrsczyk, ist Diplom Sozialpädagoge und Kinderhauser seit 1974. Aufgewachsen in Berlin (aus Gleiwitz, Ober-Schlesien stammend), Maßschneidergeselle, Altsprachliches Gymnasium Clementinum Bad Driburg´. Examen Dipl. ozialpädagoge(grad.) Fachhochschule Münster, 1974 - 1994 hauptamtllcher Mitarbeiter des Jugendamtes, Provisorisches Jugendzentrum Kotten-Kinderhaus und Jugendzentrum Kinderhaus im Bürgerhaus. Danach ab 1995 Sozialamt Stadt Münster- Sozialdienst für Flüchtlinge bis zu seiner Rente 2003.
Ergänzung: Bereits 1995 gründeten ca. 30 deutsche und ausländische Jugendliche den VDIJB e.V. im Münster-Kinderhaus (siehe Auszug aus dem Gründungsprotokoll) und wählten Lothar Wypyrsczyk und Hayrettin Kilincli zu ihren Vorsitzenden. Dieser Verein feiert jetzt in 2023/24, nach den Corona Jahren 2000, 2021, 2022 sein 25 jähriges Bestehen.
Um 1974 zogen Tausende in die neuen Hochhäuser am heutigen Sprickmannplatz, eingefasst von der „Schleife“.
Mit gemischten Gefühlen nahmen die „AltKinderhauser“ zur Kenntnis, dass ihre idyllische „Dorfruhe“ nun zu Ende war. Es wurde immer klarer, dass unter den „Neu-Kinderhausern“ auch viele Familien aus Toppheide, Mecklenbeck und anderen Brennpunkten Münsters stammten, oft aus dortigen sogenannten „SozialhilfeDynastien“.
„Schleife“ passte, denn mit der Schleife kann man sich die Haare zieren oder einen bunten Blumenstrauß binden. Damit schnürt man aber auch den unliebsamen Müllsack zu.
Von der gefühlten „Unruhe“ war es oft verbal nicht weit zum „Unruhestifter“. Integration war damals noch ein Fremdwort.
Doch bildete sich u. a. bald eine Initiative, die aus Jugendlichen und Kaufeuten der Gemeinde St. Josef-Kinderhaus bestand. Man setzte sich dafür ein, dass einer der letzten KOTTEN (kleines Familienhaus mit etwas Landwirtschaft) von der Stadt als provisorisches Jugendzentrum eingerichtet und nicht abgerissen wurde. Ein Modell eines neuen Jugenzentrums wurde bald in Auftrag gegeben und stand dann später auf dem Dachboden des damaligen Hochbauamtes!
In Kinderhaus leben seit vielen ]ahren Arbeiter, Angestellte, Beamte, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und auch Millionäre zusammen. Deutsche und Ausländer, mit und ohne Kriminalitätshintergrund, geduldete oder seit mehr als 10 ]ahre auf Abschiebung wartende Zuwanderer. Sie erzählen von “ihren“ 1970ern, sagen: Hier bin ich groß, hier bin ich erwachsen geworden, hier war der Mittelpunkt des sozialen Geschehens. Etliche Betriebe werden heute selbständig von den ehemaligen „KOTTEN-]ugendlichen“ geführt.
Vergessen scheint mittlerweile, dass die jugendlichen „Unruhestifter“ von 1974 - 1994 sich positiv weiterentwickelten und oft gut funktionierende Familien gegründet haben. Sie zeigen ihren Kindern heute den KOTTEN, der, sollte das umstrittene neue Einkaufszentrum tatsächlich gebaut werden, abgerissen werden; was später auch, trotz lauter Protesten und einer Klage einer Bürgerinitiative vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, geschah. Politik und kinderhauser Geschäftsleute waren sich einig (Mitbestimmung der Bürgerschaft war seinerzeit schon ein Fremdwort) - in der Pause einer BV im "Bürgerhaus" Kinderhaus, hörte man aus dem Munde einer SPD und eines CDU Vertreterin/Vertreter: "Die" können abstimmen was die wollen, wir ziehen das "Ding" durch!"
Wie kam es, dass offenbar ganze Generationen aus dieser KOTTEN-Zeit, eine sehr positive Gesamtentwicklung durchmachten? - Selbstständigkeit, Kreativität, Erziehung zur Verantwortungsübernahme und zur Hilfe für andere war tägliches Programm. Dazu gehörte eben auch: "Etwas für Andere tun." Man hämmerte, nagelte, entwarf und bemalte Transparente und Dekorationen für Stadtteil- und Kinderfeste. Die Inneneinrichtung wurde immer selbst hergestellt; alle Räume bekamen regelmäßigen frischen Anstrich durch viele freiwilligen Helfer.
Die Jugendlichen organisierten auf dem heutigen Sprickmannplatz - vor der damaligen Gaststätte Brüningheide - kostenlose Reparaturen von Fahrrädern, Tretrollern und sogar Kinderwagen; Kaffe und Kuchen, wurden selbst besorgt.
Im "Kotten - Provisorisches Jugendzentrum Kinderhaus" - suchte sich jeder in der Gruppe seinen Platz. Keiner wurde benachteiligt. Bei Störungen wurden gemeinsam Lösungen erarbeitet. Pädagogik statt Strafe - war die Devise! Das war nur möglich mit einer Jugendadministration, die Sozialarbeiterlnnen freie Hand ließ, auch für ungewöhnliche Wege.
Hier ist auch die Grundlage zu sehen, daß ab 1975 das 1. 3-Tägige Stadtteilfest Kinderhaus stattfanden und bis 1979 jährlich stattfanden, welches auch bei den Anwohnern und Bürgern von ganz Kinderhaus sehr beliebt war und hauptsächlich von jugendlichen Organisiert wurde, an denen sich auch die damaligen Kindergärten mit einem eigenen Kinderfest anschlossen.
1978 wurde die "Zweiradpädagogische Jugendarbeit" ins Leben gerufen, vorwiegend mit und für Mofafahrer, die auch schnell in der Öffentlichkeit diskriminiert wurden. Es entstand in der Öffentlichleit schnell der Begriff der "Ritzel-Kriminalität!. Die Pädagogen des Kotten hielten schnell dagegen und riefen mit Unterstützung des Jugendamtes, Frau Hebel, Berhard Gleitz und zwei Jugendrichtern des Amtsgericht Münster das Verkehrserziehungsprojekt "Mehr Erziehung statt Strafe" ins Leben. Dieses Projekt wurde dann zu 100% durch das Arbeitsamt Münster mit einer zu 100% tigen finanzierten ABM- Stelle unterstützt, wozu Frau Gundi Schwer, Dipl. Sozialarbeiterin im Anerkennungsjahr, als Leiterin gewonnen werden konnte.
Ab 1979/80 entstand der offene Motorradtreff der jeden Donnerstag von 18 -22 Uhr stattfand. Die Abendlichen Gruppenausfahrten durch
das Münsterland und Teutoburger Wald waren sehr beliebt. Aus diesen Motorradkreisen und mit Hilfe der Kotten Jugendlichen entstanden dann die 1. Motorrad-Tage-Münster des Jugendamtes 1980 bis 1983 und gehörten fest zum Veranstaltungskalender der Stadt Münster. Mitlerweile werden die Motorradtage Münster von dem privatisierten Mot-Treff-Kotten e.V. bis heute weiter organisiert.
Leider befindet sich der MOT-TREFF-KOTTEN e.V. und die Motorradtage Münster heute in Coerde vor den Rieselfeldern, zu denen die vielen Kinderhauser Fans durch mangelnde Busverbindungen keinen Zugang mehr finden können.
Das provisorische Jugendzentrum Kinderhaus KOTTEN, mit all seinen Aktivitäten, lag an der Schnittstelle vieler kleinerer alter und neuerer Stadtteile als soziales Bindeglied und wird heute noch von vielen Kinderhausern vermisst!
VDIJB e.v. Gemeinnütziger freier träger der jugendhilfe n.g.o.