DAS HÄTTE ICH NIE GEDACHT!
Seit nunmehr 25 Jahren bin ich (Gründungs-)Mitglied des VDIJB e.V. in unserem wunderschönen Münster. Aber: Ehrlich gesagt bin ich es schon seit fast 40 Jahren! Warum, werdet Ihr Euch nun zu recht fragen. Mit diesem kleinen Artikel möchte ich versuchen zusammenzufassen, was mich bewegt und motiviert hat, diesen Verein mit zu gründen und seit über 2 Dekaden diesen Verein weiterhin zu unterstützen und ja, vielleicht auch mitzuprägen.
Ich bin nun fast 45 Jahre alt, aber immer noch jung genug, den Verein tatkräftig zu unterstützen. Als ich 6 Jahre jung war, kam ich nach Münster, erst nach Coerde, einige Monate später nach Kinderhaus. Ich muss dazu sagen: Ich komme vom Land, platter als das Münsterland ist wohl nur das Emsland. Ich komme aus Papenburg, einer kleinen Stadt am Rande Ostfrieslands. Was ist mir dort in Erinnerung geblieben? Eigentlich nur der Kindergarten, mit netten Kindern, wie Hans, Jochen, Yvonne, Stefanie und Thomas. Was erwartete mich in Münster? Ich habe keine Ahnung mehr, hatte ich überhaupt mit 6 Jahren schon Erwartungen? Ich hätte nie gedacht, aus der Klein- in die Großstadt zu kommen. Das erste, was mir tatsächlich auffiel war, dass meine Klassenkameraden nicht nur noch Thomas, Jochen und Stefanie hießen, sondern jetzt auch Ali, Igor, Muhammed und Fatima. Es war schon spannend, was das für Mitschüler waren und ganz ehrlich, mich überfiel eine Art Unbehagen. Ist doch klar, dass war neu und seltsam. Nach den ersten Schultagen sagte ich zu Hause: Oh mein Gott, Mama, Papa, hier gibt es so viele Ausländer, ist das nicht gefährlich? Meine Eltern, sehr liberal und weltoffen, zuckten nur mit den Schultern und meinten: Das ist hier halt so. Trotzdem war ich skeptisch und hielt mich erst an meine „deutschen“ Mitschüler. Ich dachte mir: Mit den anderen willst Du nix zu tun haben, die sind mir fremd und suspekt. Doch das änderte sich schlagartig, als ich das erste Mal das Jugendzentrum in Kinderhaus besuchte. Auch hier gab es viele ausländische Kinder und Jugendliche, die aber alle gemischt und gar nicht in Gruppen, in allen Nation zusammen miteinander spielten. Es dauerte keine 2 Monate und ich war mittendrin.Das hätte ich nie gedacht.

Wie kam es dazu? Nun, es war ein kurzer, schneller Prozess. Ich wurde von einem türkischen Kumpel zum Essen eingeladen, so scharf und lecker, wow, dachte ich, super! Später brachte ein russischer Freund, russische Speisen mit, auch super. Ganz abgesehen von Couscous aus Tunesien und Bigos aus Polen. Das war natürlich nicht der Grund, warum ich auf einmal anfing, meine neuen Freunde aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Nein, es war die Tatsache, dass all diese Jungs und Mädchen gastfreundlich, nett und aufgeschlossen waren. Außerdem hatten Sie in der Familie und in der Schule dieselben Sorgen wie ich. Und: Sie sprachen genau so gut deutsch, oder englisch wie ich. Als ich älter wurde, nahm auch ich im Zuge der Vereinigung Deutschlands rechtsextreme Strömungen wahr und ja, auch in meinem Freundeskreis wurden versteckte, rechte Parolen geäußert und einige wollten auf einmal mit Ali, Yusuf oder Cem nichts mehr zu tun haben. Nicht aber im Jugendzentrum in Kinderhaus. Hier hatten wir Spaß und Freude und es war scheißegal, wer welche Wurzeln hatte. Jahre später, mit Begin der Lehre, war es dann Zeit, aus diversen Gründen dem Jugendzentrum den Rücken zu kehren. 1993 fand dann das große Jugendzeltlager der Stadt Münster zur 1200 Jahr Feier statt. Natürlich waren auch wir aus Kinderhaus dabei. Mit Jugendlichen aus Tunesien, Israel, Russland, Polen, aber auch aus dem Osten unseres Landes, hier aus Bannewitz bei Dresden. Das erste was mir auffiel war folgendes: Wir aus Kinderhaus sind quasi das Zeltlager, denn wir leben schon seit Jahren mit Menschen aus allen möglichen Nationen zusammen. Die anderen Gäste hatten anfangs Schwierigkeiten, sich den anderen Nationen zu öffnen, uns hingegen fiel das überhaupt nicht schwer. Jugendbegegnungen beginnen vor der eigenen Haustür, das war mein erster Gedanke. Das hätte ich nie gedacht.

Es folgte eine erste Jugendbegegnung nach Tunesien und im Jahr 1995 beschlossen wir, einen Verein zu gründen, der eben diese Jugendbegegnungen förderte und ausbaute. Es folgten Projekte in Dänemark, Mazedonien und Nordafrika. Das stellte uns vor enormen Herausforderungen, Vorurteilen und teilweise auch Unverständnis. Wir aber bewahrten uns unsere Ideen und ich hatte die beste Zeit, um erwachsen zu werden. So viele Menschen aus allen Herren Ländern haben mich geprägt, haben mich toleranter und verständnisvoller gemacht, als ich es je geworden wäre, würde ich noch auf dem Land leben. So aber, bin ich, was ich bin und das hätte ich nie gedacht, als ich Anfang der 80er Jahre nach Münster kam. Aus Fremde wurden Freunde!
Der VDIJB unterstützt nicht nur Projekte und Jugendbegegnungen, sondern baut auch Vorurteile ab. In diesem Verein habe ich gelernt, nein habe ich mich prägen lassen, den Mut und die Kraft zu finden, die Freundschaft zwischen den Völkern lebendig werden zu lassen. Kann es eine bessere Schule geben? Natürlich hatte ich viel Gegenwind, viele Kneipengespräche endeten mit: Wie kannst Du nur mit den Ausländern? Den Kanacken, den Kümmeltürken, den Hottentotten, was weiß denn ich, was es für abwertende Begriffe gab. Nur der Deutsche ist strebsam und ehrlich-Ich musste mich mehrmals schütteln, habe aber nie auf die Zunge gebissen sondern immer ehrlich und geradeaus meine Meinung gesagt. Nun was soll ich heute sagen? Ich werde wohl nie eine Karriere in Parteien, wie den Republikanern oder der AFD machen, aber wer will das schon? Das Ihr mich nicht falsch versteht: Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein, nur sind meine Beweggründe andere. Wir sind tatsächlich strebsam, voller Arbeitseifer, pünktlich, korrekt und auch christlich. Aber haben wir das Recht, es anderen Völkern abzusprechen? Zwei kleine Beispiele sind mir Erinnerung geblieben: Ich bin ein echter Fußballfan und habe früher viele Spiele im Stadion verfolgt. Einmal war ich in Gelsenkirchen, die Fahrt wurde vom Wuddi, dem Jugendzentrum in Kinderhaus veranstaltet. Ich habe nur die Hinfahrt und den Eintritt in Anspruch genommen und den Organisatoren mitgeteilt, nach dem Spiel noch in Gelsenkirchen zu bleiben. Nachdem Spiel wollte ich dann mit Fans noch in die ein oder andere Kneipe. Auf dem Parkplatz des Parkstadions fielen mir aber zwei Kinder aus Münster auf, die wohl bei der Abfahrt vergessen wurden. Sie erkannten mich und fragten, wie sie nach Hause kämen…. Ich habe mir beide geschnappt, Taxi und Zug bezahlt und habe sie nach Hause gebracht. Glaubt mal nicht, dass ich von den Eltern, einem deutschen Lehrerehepaar auch nur einen Hauch Dank oder Anerkennung bekommen habe. Vielmehr haben sie mich angeraunzt, was mir einfiele, die beiden ohne Bus nach Hause gebracht zu haben. Einige Zeit später, ich bekleidete ein Ehrenamt bei der Stadt Münster in einem unserer Flüchtlingsunterkünfte, geschah folgendes: Ein kleiner Junge fiel beim Spielen von einer Mauer und verletze sich am Kopf. Ohne zu zögern, fuhr ich den Jungen in das nächste Krankenhaus. Ein Freund informierte die Eltern. Die Familie stammt aus Palästina. Schnell kamen sie dazu und bedankten sich tausende Male bei mir. Noch Jahre später, wenn ich die Eltern in der Stadt treffe, werde ich zum Kaffee eingeladen, ja sogar zum essen. Das hätte ich nie gedacht!

Was will ich damit sagen? Ich glaube, wir können voneinander lernen. Ich will jetzt nicht pauschal sagen, ach die Deutschen sind stocksteif und die „Ausländer“ emotional. Nein, dass stimmt nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass das besagte Lehrerehepaar vielleicht früher selbst einmal die Möglichkeit gehabt hätte, einen Verein wie unseren zu erleben. Dann hätten sie anders reagiert, sie hätten mitbekommen zu erleben, was gegenseitige Hilfe und Unterstützung, unabhängig von der Herkunft bedeutet. Aber: Ich will es nicht pauschalisieren, will nur sagen, die Zeit in und mit dem Verein hat mich geprägt. Auch heute habe ich im Zuge der „Flüchtlingskrise“, wenn man sie überhaupt so nennen darf, immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen. Auch ich ertappe mich manchmal dabei, auf Menschen mit Migrationshintergrund zu schimpfen, aber das tue ich auch bei deutschen Mitbürgern. Es gibt für mich Gut und Böse, aber kein „Deutsch und Ausländer“.

Ich möchte weiter für Integration einstehen und streiten, dass kann ich im VDIJB ganz hervorragend. Ich wünschte mir so sehr, dass mehr Menschen meine Erfahrungen gemacht hätten. Im Grunde mache ich das seit 40 Jahren, seit ich in Kinderhaus lebe und hier Fuß gefasst habe. Der VDIJB hat mir dabei geholfen, tolerant und neugieriger zu werden. Das hilft mir auch in meinem Job, in der Touristik, wo ich mit Menschen aus vielen anderen Nationen und Kulturkreisen arbeiten muss. Ich bin weltoffener geworden, weitsichtiger und klüger.

Das hätte ich nie gedacht, als ich damals aus Papenburg nach Münster kam.

Deshalb bin ich stolz und glücklich, diesen Verein mit gegründet zu haben. Es erfüllt mich mit immer noch mit Stolz und Ehrgeiz, hier für Toleranz und multikulturelles Miteinander einzustehen. Ich finde, der Verein ist eine Erfolgsstory. Wenn auch einige diese Zeilen eher skeptisch sehen, den Zielen des Vereins nicht folgen können oder wollen, so ist es doch meine eigene, persönliche Erfolgsstory. Das hätte ich nie gedacht!

Marco Brandt, Münster, Gründungsmitglied des VDIJB e.V. 1995, heute Pressewart im Vorstand - Oktober 2021.
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VDIJB e.v. Gemeinnütziger freier träger der jugendhilfe n.g.o.