Wie wird man ein sympathischer Mensch
WIE WIRD MAN EIN SYMPATISCHER MENSCH!
. . . Und die Bildzeitung berichte nicht darüber, die Politiker sind auf
Wahlreisen und entschuldigen sich; die Unteroffiziere üben für den Ernstfall
und haben keine Ordre; die Polizei jagt Verkehrssünder und stellt keine
Sicherheitsposten; die Flüchtlinge kommen und keiner weiß warum; doch die
örtlichen Behörden streiten sich wegen des Bau einer Tiefgarage und wissen
nicht wohin:
Darum steigen sie ungewarnt in die Katakombe und entledigen sich ihrer
Kleider. Die Visitenkarten werfen sie in den Müllschlucker, und sie formieren
sich unterschiedslos hintereinander: Eine Kette Menschen ohne Kennzeichen.
Und so entsteht die Menschenherde mit statistischer Normalgröße und
durchschnittlichem Körpergewicht. Keiner überragt den anderen, keiner
braucht mehr Platz als der Nächste. Auf ihre Köpfe passt der gleiche Hut. Die
Lauscher, ängstlich zur vollen Größe entfaltet, saugen jedes Wort der
geheimen Stimmen ein, die unaufhörlich mit Versprechungen und Drohungen,
mit hübschen Schmeicheleien und Lippenbekenntnissen die einheitliche
Reihe vorwärts treiben. Dazwischen tröpfelt Musik aus dem Gewölbe, die von
der Zukunft singt, dem Erlöser am Brennpunkt der Katakombenellipse, der sie
gnädig von ihrem starren aufrechten Ich erlöse.
So glotzen ihre Augen - vom langen Hoffen aus den Höhlen getreten und zu
Milchglaskugeln geronnen nach vorn und ihre Münder schmatzen voll gieriger
Vorfreude, während sie geduldig hintereinander auf die Erlösung warten,
gehorsam über den Wartegang rücken, untertänig, die Hände an die Stelle
gelegt, wo einstens die Hosennähte saßen. Und es erreicht jeder den O.P.
und blickt verzückt auf den großen Metzger, der sie vom Leid ihrer
Individualität befreit. Es assistiert keine Operations-Schwester und der
Fleischerchirurg braucht keinen Narkotiseur: in wollüstiger Euphorie legen sich
die Patienten auf die Pritsche und vertrauen ihren Leib dem geübten Skalpell
des Operateurs an. Er entkernt sie wie Pflaumen, weidet mit flinken Finger ihr
Rückrad aus, befreit sie von ihrem Knochenkorsett. Zufrieden erleiden sie den
Entzug ihrer Körpersäule.
Das haltlose Haupt muss einer beim Halfter nehmen. Das Reittier wird auf die
Sporen reagieren und auf das Hüh und Hott parieren. Der Reiter kann beruhigt
sein: zum Aufbegehren braucht es ein Rückgrat. Es ist also keine
Überraschung zu erwarten!
Wer das Gesicht am Boden hat, hört nur die Stimme der Autorität.
Heuchelei und Anmaßung auf ihrem Gesicht sind für ihn nicht überschaubar.
Er wird glauben, was man ihm sagt, denn die Stimmen sind auf Glaubhaftigkeit
trainiert. Allen Rattenfängerflöten wird er folgen.
Und schließlich kommt einer und schiebt ihm als Prothese eine Ideologie
zwischen Arme und Beine. Da glaubt der Emporgerichtete zuletzt an die
Regeneration seiner Wirbelsäule im hohlen Rücken und vergisst, daß er seine
Haltung geliehen hat. Ist er erneut seines Rückgrats überdrüssig, denn es
schmerzt ihn der Rücken vom unentwegten Aufrechtgehen, mag er sich
getrost wieder an die lange Reihe anschließen. Der Metzgerchirurg arbeitet
unermüdlich und kostenlos und man kommt nie vor geschlossene Türen.
. . . Und die Bildzeitung berichte nicht darüber, die Meinungsinstitute gutachten
nicht, die Pfarrer müssen ihre Sonntagspredigt schreiben, und die
Gewerkschaften verhandeln gemeinsam Tarifverträge; die Richter haben
keine entsprechenden Paragraphen; die Politiker sind unabkömmlich und die
Unteroffiziere drillen Rechtsum und Linksum; die Polizisten schreiben
Strafzettel, die Flüchtlinge finden kein Asyl, die örtlichen Behörden tagen und
feiern im Rathaus!
Keiner will Kassandra spielen! - Oder!?, Schweigen sie vorsätzlich?
A. Paul Weber, einer der schonungs losesten, mutigsten und weitsichtigsten unter den deutschen Grafikern, die sich mit der politischen Karikatur befaßten und befassen, hat sich zur Vornazizeit und zur Nachnazizeit mit seinen zeitkritischen Zeichnungen und Lithos unbeliebt gemacht.
Er war immer unbequem!
Damit sein Werk nicht in Vergessenheit gerät, haben wir ihn zu uns in die Homepage gestellt!
„Rückrat raus!“ heißt diese Lithographie, die 1951 entstand. Damit er nicht vergessen wird, haben weir diesen Beitrag in unsere Webseite gestellt, ist er doch auch heute noch Hochaktuell!
Johannes Mitterle schrieb den Text dazu.
VDIJB e.v. Gemeinnütziger freier träger der jugendhilfe n.g.o.