Fortsetzung: DER CHRONIST BERICHTET
Doch die Jugendlichen sind da optimistischer, denn schließlich kommt Eintrittsgeld wieder rein, wenn die Disco renoviert und wieder geöffnet sein wird. Dann können sie mit dem eingenommenen Geld weiter Planen und sich das kaufen was sie wollen. Mitbestimmen und alles selber machen steht oben an. Sie suchen sich selbst in der Dee Jay Gruppe die Platte aus, die sie haben wollen und gehen allein einkaufen und bezahlen immer mit Bargeld aus der gemeinsamen Kasse. Sie haben mittlerweile ein gutes Gespür entwickelt, wo in der Stadt der billigste CD-Laden ist oder wo man nach Schnäppchen suchen muss. So lernt man Selbständigkeit, Geld sparen und einteilen. Das Cafe soll auch noch verschönert werden, denn wir haben ja das Jubiläumsjahr, und wenn die Stadtväter in Münster schon ein Jahr lang vorher die Stadt mit ihren vielen Gebäuden und Straßen an allen Ecken und Kanten putzen und wienern, wollen die Jugendlichen von Kinderhaus nicht hinten anstehen. Auch sie wollen sich verständlicherweise repräsentieren und hoffentlich, wenn das Werk vollendet ist, auch gelobt werden. Anerkennung ist nicht nur das Salz für Künstler! Wahrlich derer gibt es viele! So möchte man jedenfalls glauben, wenn monatlich die Kreativ-Elite des Bürgerhauses ihre Freizeitprodukte in der Galerie ausstellt oder auf kilometerlangen Verkaufstischen bei den zu dutzenden stattfindenden Floh- und Kreativmärkten die Massenprodukte von getrockneten Blumen, Töpferwaren, Seidenmalereien und Puppenköpfe zur Aufbesserung des Haushalts- und Taschengeldes an den Mann und die Frau bringt. Was bedeutet dann schon die Kreativität und liebevolle Hingabe der Jugendlichen, mit der sich die Jugendlichen ihren Freizeitbereich nach ihren Vorstellungen, nach ihrer Zeiteinteilung, oft bewusst, contra der Vorstellung von Erwachsenen-Kultur gestalten wollen? Sehr wenige Eltern kommen in das Jugendzentrum. Sie überlassen es lieber ihren Kindern, wissen sie wohl, dass sie einen Ort brauchen, wo sie auch mal ungestört unter Gleichaltrigen sein können: Öfter könnten die Eltern trotzdem kommen! Unser gesellschaftliches Leben spiegelt sich jeden Tag im Kinder- und Jugendzentrum wieder. Selbstverständlich gibt es auch hier, wie überall, Störenfriede unter den Besuchern eines Jugendzentrums. Kleine Streitereien oder sogar Handgreiflichkeiten werden meistens schnell und selbst geregelt. Bei größeren Tätlichkeiten hilft oft eine Verwarnung. Hausverbote spricht jeder Pädagoge wirklich ungern aus. Wo Ermahnungen und Verwarnungen immer wieder nichts nutzen, kommen auch die besten, PädagogInnen um ein schriftliches und leider oft dann endgültiges Hausverbot nicht herum. Ganz schwierig wird es, wenn eine große Gruppe Jugendlicher, mit vielen Problemen beladen, von heftigen Auseinandersetzungen mit den Eltern und Lehrern genervt, aufgrund schulischer und beruflicher mangelnder Ausbildung, auf der Straße herumhängen, von keinem für ernst genommen, von der Polizei verfolgt, vom Jugendrichter angeklagt, für sich keine Zukunftsperspektiven mehr sehend, von keiner Institution, die soziale Gruppenarbeit macht, mehr umworben wird, da sie schon alles „durch“ haben, die letzte Zuflucht in einem Jugendzentrum suchen, in der vermeintlichen Hoffnung, ungestört an ihrem letzten Strohhalm saugend, das bisschen Glück, was noch verblieben ist, inhalieren und intravenieren können!?
Dies geschieht wie ein Überfall, auf den keiner vorbereitet sein kann!
Dass sie sich bereits in dem Teufelskreis von Beschaffungskriminalität und Drogenabhängigkeit befinden, aus dem schwerlich zu entrinnen ist, kommt ihnen nicht in den Sinn. Dass sich ihre Eltern sorgen, die Pädagogen zusammen mit ihren Müttern bis weit nach Mitternacht die Kinderhauser Straßen, bis in die Innenstadt absuchen, wo wohl ihre Kinder sein könnten, die sie 3-4 Tage und oft auch länger einfach nicht mehr gesehen haben! Oder andere Eltern stundenlang am Telefon die Mitarbeiter mit Anrufen bombardieren und jammern: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass "mein Kind" Drogen nehmen soll!“

In diesem „Wahnsinnsfeld“ von:

Drogenkonsumenten, Dealer und Hehler und Neugierigen
war es nur mal probieren oder war es schon der erste „Schuss?“
was ist links, rechts und was ist noch oben oder unten
wer ist Schuldig oder Unschuldig?

weis schließlich keiner mehr, was Wahr oder Lüge ist.

Außer einem Versuch, mit ihnen eine Gruppe zu organisieren, um über ihre Probleme zu sprechen, nach Lösungen zu suchen, bei Drogenberatungsstellen anzurufen, die offt überfüllt sind, gibt es für viele Freizeitpädagogen wenig Alternativen bis zum endgültigen Rausschmiss, Schließung des offenen Treffs, der Gang zur Polizei. Wetten, dass dann diese ganze Tragödie an einem anderen Ort von vorne beginnt?

Die aktiven Jugendlichen und auch die Pädagogen können nur noch, retten, was zu Retten ist, die restlichen Jugendlichen, die verblieben sind, zu schützen, in dem man sich gemeinsam einigelt!

Und dann hört und sieht man, das, eigentlich schon überall: "Weil gespart werden muss, weil woanders in der Stadt Sozialarbeiter gebraucht werden oder neue Ideen der Jugendarbeit grassieren, kann man doch eine, oder auch gar zwei Pädagogen/innen, aus den Jugendzentren "abzwacken", die haben doch so viele!"


Lothar Wypyrsczyk


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