"ICH BIN MUSLIM UND STELLE DIE MEINUNGFREIHEIT ÜBER MEINE RELIGION"
DAS IST DER DEAL UND ER IST NICHT VERHANDELBAR"
AHMAD MANSOUR: "WIR MÜSSEN SCHNELLER SEIN ALS DIE ISLAMISTEN!"
rbbKultur: Herr Mansour, Sie sind Moslem. Als Jugendlicher sind Sie selbst in die Nähe von radikalen Muslimen gerückt. Wie kam es dazu?
Mansour: Ich war Islamist. Ich war leidenschaftlich dabei - und das will ich auch hier reflektieren. Die Gründe dafür waren eigentlich eine persönliche Krise, die ich durchgemacht habe. Ich war auf der Suche nach Entlastung. Ich habe kaum Freunde gehabt. Ich wurde gemobbt in der Schule. Meine Eltern waren mit sich beschäftigt. Und der einzige, der bemerkt hat, dass ich eine persönliche Krise durchmache, war der Imam von nebenan. Er schaffte Bindung zu mir, einen emotionalen Zugang. Er interessierte sich für mich. Er hat mich eingeladen. Ich bin nicht zur Moschee gegangen, um eine Religion zu suchen, sondern eine Entlastung. Und das erleben ganz, ganz viele Jugendliche, die genau diesen Weg gehen. Wir müssen schneller sein als die Islamisten, die Jugendliche für unsere Gesellschaft gewinnen wollen. Wenn wir Demokratie vermitteln wollen. Wir müssen auch die Bindung, das Vertrauen zu diesen Jugendlichen schaffen, um sie gegen solche radikalen Tendenzen zu immunisieren.

rbbKultur: Was hat Ihnen denn damals geholfen, nicht weiter abzudriften in Richtung Islamismus oder Extremismus?
Mansour: Mein Umfeld. Ich musste zum Studieren nach Tel Aviv. Ich bin in einem arabischen kleinen Dorf in Israel aufgewachsen. Die meisten dort waren Muslime. In Tel Aviv habe ich eine neue Perspektive bekommen. Ich habe neue Bücher gelesen. Ich war neugierig mit 19, diesen westlich orientierten Staat kennenzulernen. Ich habe Menschen getroffen, die mir geholfen haben zu reflektieren und dann auszusteigen. Ich war allein. Einsam. Ich war wieder in einer persönlichen Krise, weil natürlich alle Menschen, mit denen ich es zu tun hatte, dann auf einmal mit mir nichts mehr zu tun haben wollten. Ich habe es nur durch die vielen Menschen geschafft, die mich in diesen schweren Jahren begleitet haben.

rbbKultur: Sie wollen, dass die Gesellschaft in Deutschland entschiedener der Entstehung von Parallelgesellschaften entgegenwirkt. In Ihrer Rede, die Sie heute Abend halten, schlagen Sie dafür einen Zehn-Punkte-Plan vor. Können Sie die wichtigsten Punkte nennen?
Mansour: Wenn wir über Rassismus oder auch über das Ankommen in Deutschland reden, dann muss ich als Psychologe immer wieder betonen, dass das Einzige, was hilft, Begegnung ist. Und deshalb ist Inklusion für mich das Allerwichtigste, um Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Ich will keine Zustände wie in Zehlendorf und ich will keine Zustände wie in Neukölln. Ich will, dass die Leute sich in den Schulen treffen. Dass es eine gesunde Durchmischung der Bevölkerung in unseren Schulen, in unseren Wohnorten gibt. Ich will, dass wir anfangen, unsere Integrationsarbeit professioneller zu machen. Ich will, dass wir die Schulen zu Orten der Demokratie-Erziehung machen. Das wird die Lehrer befähigen, diese Jugendlichen zu erreichen, ihnen Alternativen anbieten, weil wir als Gesellschaft etwas anzubieten haben: Freiheit – das ist etwas, was viele Jugendliche sehnsüchtig suchen. Und sie müssten das in unserer Gesellschaft finden und nicht bei den Islamisten.

rbbKultur: Sie sagen, die Jahrhundertaufgabe Integration sei nur zu bewältigen, wenn die Werte der offenen Gesellschaft von allen konsequent gelebt und verteidigt werden. Können Sie das noch etwas weiter ausführen?
Mansour: Wissen Sie, ich treffe viele Leute, die glauben, dass Integration damit getan sei, wenn die Menschen, die zu uns kommen, die Sprache lernen, nicht kriminell werden und eine Arbeit finden. Für mich ist Integration, emotional in dieser Gesellschaft anzukommen und zu einem Wir-Gefühl zu gehören. Das bedeutet, dass man die Werte dieser Gesellschaft nicht nur versteht, sondern auch verinnerlicht. Nur in dem Moment, wo ich diese Werte als Chance für mich und meine Tochter sehe, bin ich angekommen. Aber wenn ich in einer Gesellschaft lebe, aber emotional Angst habe vor Freiheit, vor Individualität, vor sexueller Selbstbestimmung, dann bin ich vielleicht physisch hier, aber emotional bin ich noch nicht angekommen und definitiv noch nicht integriert.

rbbKultur: Was können Nicht-Muslime da tun?
Mansour: Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Natürlich ist Bringschuld der Zugewanderten dabei. Aber ich werde nicht in dieser Gesellschaft ankommen, wenn ich auf eine Mehrheitsgesellschaft treffe, die mir nicht ermöglicht, Teil von etwas zu sein. Diese emotionalen Zugänge, diese Neugier, die Gesellschaft kennenzulernen, kann ich nur bewältigen, wenn ich Kontakt zu der Mehrheitsgesellschaft habe. Das müssen wir erlauben und das müssen wir auch ermöglichen. Dass wir zusammenleben, dass wir besprechen, dass wir streiten, dass wir im Alltag einfach nicht einfach nebeneinander, sondern miteinander leben.

Das Gespräch führte Carolin Pirich, Radio rbb-Berlin.
rbb Kultur I Mo I 26.10.2020 I 16:10 I " Der Tag Berliner Rede zur Freiheit."
AHMAD MANSOUR: "WIR MÜSSEN SCHNELLER SEIN ALS DIE ISLAMISTEN!"
ZITAT
ich will anderen Menschen in dieser
Gesellschaft gerne etwas zurückgeben.
Ich will ein Gedankenpflanzer im Garten
der Mündigkeit werden und Menschen
aller Religionen, Herkunft und
Hautfarben unterstützen in Deutschland emotional anzukommen und die Früchte der Mündigkeit zu probieren.
Integration bedeutet vor allem,
emotional Ankommen, bedeutet diese
Gesellschaft als Chance für sich und
seine Familie zu verstehen.
Ahmad Mansour
" Rede zur Freiheit 2020" rbb-Berlin
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